Als Projektleiter im Mercedes-Benz Classic-Center in Fellbach kümmere ich mich seit vielen Jahren um die Reparatur und Restaurierung von Klassikern.
In diesem Blog berichte ich über mein derzeitiges Projekt, einen Benz Phaeton, genauer – “Spider” - so die zeitgenössische Schreibweise um die Jahrhundertwende.
Der Phaeton americain war eine besonders luftige Angelegenheit, wie der Spider auch. Jedoch saßen die vier Passagiere beim Phaeton auf zwei Sitzbänken in Fahrtrichtung. Ein graziles Dach schützte vor schlechtem Wetter. Unser Benz Spider ist ein dagegen ein echtes “Männerauto” ohne Dach und nur ein Zweisitzer. Es ist wie eine Zeitreise 111 Jahre zurück in der Geschichte des Automobils…
Was bisher geschah siehe Teil 1
Die Winterzeit haben wir genutzt und unseren alten Benz zu einem Wagner und Kutschenbauer gebracht. Dieser Mann ist auf historische Arbeitsmethoden an Kutschen und Automobilen spezialisiert: Schmiede- und klassische Holzarbeiten, Leinöllackierungen und Wagnerarbeiten. Als einer der Letzten seiner Zunft kann er Holzfelgen instand setzen und sogar komplett neu herstellen. Gerade für die Restaurierung unserer ältesten Fahrzeuge sind wir auf dieses alte, überlieferte Wissen angewiesen und sehen es auch als unsere Aufgabe an, einen Beitrag zur Erhaltung dieser Handwerkskunst zu leisten.
Zuerst mussten wir die postgelbe Karosserie entlacken, der Benz Spider ist immerhin 111 Jahre alt, und die Karosserie ist aus Holz. Was die Zeit dem Material Holz anhaben kann, wissen wir alle. Ich musste also davon ausgehen, dass die Karosserie zu großen Teilen nicht mehr original ist. Die Geschichte, die das Fahrzeug begleitet, belegt außerdem, dass der Benz Spider in Irland in den 1970er Jahren mit einem modernen Acryllack gespritzt wurde. Das Problem dabei: Holz trocknet unter Acryl aus, eine sogenannte Trockenfäule bildet sich, „sprengt“ das Holz und der Lack reißt.
Nach dem Entlacken war ich überrascht und sehr erfreut, denn mit diesem Ergebnis hatte ich nicht gerechnet: wir hatten die originale Holzkarosserie aus Buche und Esche freigelegt und sie war zu 99% intakt. Der Benz Spider muss in seinen frühen Jahren, dem damaligen Wissen entsprechend, richtig gestanden haben, bei einer Luftfeuchtigkeit von ca 60%, und offenbar war er auch keiner extremen Hitze, Kälte oder Temperaturschwankungen ausgesetzt. Möglicherweise stand er in einer Kutschenremise, in der die Luft zirkulieren und das Holz atmen kann. Und der Benz Spider gab noch ein weiteres Geheimnis preis: seine Originalfarben von 1902. Am Holzrahmen entdeckten wir Lackreste, die behutsam freigelegt wurden, der Benz Spider war zweifarbig lackiert, in „kardinalrot“ und in „sandbeige“.
Versetzen wir uns in das Jahr 1902 zurück: Eine Farbvielfalt, wie wir sie heute bei unseren Autos kennen, gibt es nicht. Die meisten Automobile sind schwarz, ebenso dominiert die Farbe Schwarz auch bei den Kutschen. Der kardinalrote Benz Spider mit seinen sandbeigen Kotflügeln ist auf den Straßen des beginnenden 20.Jahrhundert eine Sensation, hat Signalwirkung, der Besitzer setzt damit ein Statement, sicherlich ist er ein wohlhabender, selbstbewusster Mann.
Wir haben bei diesem Benz Spider also zwei außergewöhnliche Komponenten: einerseits die intakte Holzkarosserie, und andererseits die Reste der Originalfarben. Dass beide weder durch Unfälle oder unsachgemäße Lagerung zerstört wurden, kann man als Glücksfall bezeichnen. Daher konnte es nur eine richtige Entscheidung geben: den Benz Spider in seinen Originalzustand von 1902 zu versetzen. Das bedeutet, er bekommt einen Leinöllack in Kardinalrot mit sandbeigen Effekten. Den Leinöllack in den Originalfarben müssen wir extra herstellen. Es ist ein rein pflanzlicher Lack dem die entsprechenden organischen Farbmittel beigemischt werden.
Eine weitere Herausforderung: Leinöllack muss mit dem Pinsel aufgetragen werden, in zeitaufwändiger Handarbeit wie vor über 100 Jahren. Das ist sogar bei uns im Classic Center in Fellbach eine seltene Anforderung. Aus früheren Leinöllackierungen wissen wir, dass dieser Lack sehr lange zum Trocknen braucht, denn er trocknet nicht im herkömmlichen Sinne, er oxidiert und das ist ein zeitintensiver Prozeß, den man nicht beschleunigen kann. Wie lange es also dauert, eine solche Lackierung mit dem Pinsel aufzutragen und bis er trocken ist? Die Kollegen von damals können wir nicht mehr fragen, es gibt keine Vergleichswerte, also werden wir das erst wissen, wenn der Benz Spider fertig ist. Ich bin darauf sehr gespannt!